Die Geschichte mit dem kitzligen Eminem NZZ am Sonntag, 12/22

Eine küchenpsychologische Erklärung für die Freude an Promis

Mein Sternzeichen ist Jungfrau. Und ich bin ein Lehrerkind. Ich weiss Dinge also grundsätzlich besser und unter den genannten Voraussetzungen sogar mindestens doppelt so besser als alle anderen. Entsprechend würde es mir eine unermessliche Genugtuung verschaffen, wenn ich wüsste, dass auf meinem Grabstein irgendwann stünde: Sie hätts ja gseit. Das Schlimmste für jemanden wie mich ist es entsprechend, irgendwo im Leben zu stehen mit der Richtigkeit in der einen Hand und zur anderen eine Situation vorzufinden, in die ich nicht eingreifen kann. Das ist ein sehr unangenehmes Gefühl und trotzdem eines, das mich immer wieder einholt (und ich gestehe: Ich bleibe auch extra stehen und binde mir, vornübergebeugt in einer möglichst pinken Hose, damit es mich auch im dunkelsten Wald von weitem sieht, ganz langsam die Schuhe, damit mich das Gefühl auf sicher einholen kann).

Unterbewusst sucht man sich für die Liebe und für das Leben wohl ganz allgemein gern ein vertrautes Setting, egal ob dieses besonders gesund oder gescheit ist. Hauptsache, man kennts.

Ich glaube, mein triggerndes Überbleibsel aus der Kindheit hat inzwischen nicht mehr zur Folge, dass ich auf fremden Körpern tätowierte Lebensweisheiten zu korrigieren suche oder dass ich die komplette Kommunikation meiner Freundinnen mit ihren signifikanten Others mithilfe von in der Nacht vorbereiteten Textvorlagen zu steuern versuche. Mein verbleibender Mini-Dachschaden liegt vielmehr in den seichten Gazetten dieser Erde – und in der Tatsache, dass mich das Leben von Prominenten wahnsinnig interessiert. Der küchenpsychologische Bogen geht so: Wenn man seinen Eltern bei ihrer Trennung zusehen muss, steht man hinter einer Art Glasscheibe. Die Eltern im Ring unter einer Glasglocke. Man sieht die Mutter und ihr strenges Gesicht, das nichts aufzulockern vermag. Jegliches Scheibenklopfen dringt nicht zu ihr durch. Man hofft, dass sie nicht zum verbalen Gegenschlag ausholt. “Sägs nöd”, ruft man ganz laut. Dann zum Vater gewandt: “Wart. Hör doch erstmal den Satz bis ganz zu Ende.” Aber er ist schon wieder eingeschnappt und wendet sich ab. Meine Stimme nur ein mundgrosser, tonloser Fleck aus Atem an der Scheibe. Sie müssten in eine Therapie. Lernen, sich selbst zu lieben. Sich für vielleicht falsch gefällte Entscheidungen vergeben. Nach vorne schauen. Offen bleiben für das Glück. Nicht immer davon ausgehen, dass das Leben gegen sie ist. Loslassen. Alle alten Vorstellungen. Sich selbst genug sein. Beide müssten sie sich wieder ganz unverheiratet fühlen und nicht auf ewig verdammt und geschieden. Das Leben ist doch so viel mehr als genau diese eine Beziehung, die überhaupt nicht funktionierte und die eine Version von einem hervorholte, die einem noch nicht mal selbst besonders sympathisch ist.

Dieses Zuschauenmüssen. Es ist schlimm und frustrierend und anstrengend. Und trotzdem übt dieses Gefühl eine Sogwirkung auf mich aus, der ich mich fast nicht entziehen kann. Ich habe mich über die Jahre mindestens dahingehend weiterentwickelt, dass ich mein Umfeld von meinen ungefragten Lebensverbesserungsratschlägen verschone. Ich konzentriere mich inzwischen nur noch auf aussichtslose und unerreichbare Fälle und knocke mir derweil die Knöchel an den Aquariumsscheiben von Prominenten blutig. Sie interessieren mich, weil ich für all ihre Probleme die Lösung hätte. Ich schreie förmlich in diese Magazine hinein. Ich weiss, wer wirklich zu Pete Davidson gehört. Und ich weiss auch, was Kanyes Mutter Donda alles noch hätte verhindern können. Und die Hints im Lied von Harry Styles – hört es denn niemand? Ich weiss, bei welchem Eingriff Nicole Kidman hätte bremsen müssen und um wie viel Punkte ihr Mann besser dran wäre, wenn er das Haarglätteisen nicht mehr benutzen würde. I just know. Aber ich bin dazu verdammt, immer weiter und mit blutleerer Unterlippe dabei zuzusehen, wie Gwyneth Paltrow die falschesten Geburtstagsbilder postet und Jennifer Lopez eine ganze Dokumentation über sich veröffentlicht, ohne zu realisieren, wie seltsam sie rüberkommt. Dass sie mich niemals hören werden: Es macht mich fertig. Aber es ist das Gefühl, mit dem ich gross geworden bin. Und dass da keine Eltern, Freunde, Psychologinnen oder Geschwister sind, dass da einfach gar niemand ist in diesen von allen beobachteten Leben, der sagt, Amber, Kanye, chömed. Es langt. Jetzt gebt ihr mir eure Telefone und wir stellen sie aus. Wir backen etwas und während der Kuchen im Ofen ist, gehen wir spazieren. Ich erzähle euch nochmals die Geschichten, wie ihr irgendetwas mal ganz toll gemacht habt, und dann schauen wir, dass das alles wieder gut kommt, hm?

In Situationen, wo niemand eingreift, habe ich immer das Gefühl, es sei nun an mir (drum bin ich auch immer im Elternrat, weil ich die erste bin, die es nicht aushält, wie die Lehrpersonen da vorne so stehen und darum flehen, dass sich doch bitte jemand melden möge). Und dann giesse ich gern auch noch ein bisschen Öl in mein Feuer und schaue mit brennender Leidenschaft all diese Dokumentationen über Shawn Mendes, Shania Twain, Britney Spears. Damit ich vorbereitet bin, wenn sie dann doch mal anrufen sollten.

Entsprechend gestalten sich meine Träume, mit deren Offenbarung ich dem bunten Reigen seltsamer Spätfolgen für das Verhalten erwachsener Scheidungskinder noch etwas beifügen möchte: Im Traum bin ich nämlich die Schnellwahltaste aller Promis. Die Anlaufstelle für die Lösung aller Probleme und Sorgen. Und so treffe ich nicht selten Christina Aguilera in Winterthur am Bahnhof, wo sie mir weinend in die Arme fällt. Ich flaniere eheberatend mit Bennifer an der Limmat und sitze bei Apache 207 hinten auf dem Roller, um ihm den Weg zu zeigen, während ich die zugeschickten Entwürfe für Interviews und Statements von Kim Kardashian, Adam Levine und Jacob Elordi verbessere. Kurzum: Ich kitte und korrigiere, was noch zu kitten und zu korrigieren ist. Und nach einem solch anstrengenden Tag dann, glücklich und erschöpft von meiner Arbeit, nehme ich mir noch die Ziet, Eminem abermals hinter den Ohren zu kitzeln und erlöse ihn endlich von seinem immer so ernsten Gesicht. Und all das mindestens in jeder Vollmondnacht.