Das Geburi Burnout
Mal ehrlich 04/25

Ich weiss nicht warum, aber an Geburtstagen anderer Menschen verfalle ich immer in einen seltsamen Modus: Mich überkommt da irgendwas aus Panik und subtil pulsierender Prüfungsangst: Gelingt es mir, meine Liebe so zum Ausdruck zu bringen, wie ich sie fühle? Immer fürchte ich, jemand könnte enttäuscht darüber sein, wie oder wie fest oder um welche Uhrzeit genau ausgerechnet ich an den Geburtstag der anderen Person denke. Reicht eine SMS? Wäre ein Anruf besser? Ist herziger kurz nach Mitternacht gratulieren oder als erstes am Morgen? Oder eh lieber ein Kärtli? Minikuchen mit Kerze in Briefkasten? Geschenk? Frrr.... Manchmal bin ich wegen dem Geburtstag anderer Leute so aufgeregt, dass ich regelmässig verunsichert bin, ob sie tatsächlich an dem Tag Geburtstag haben, der in meiner Agenda notiert ist (Vielleicht sind alle zu nett, um mir zu sagen, dass ich ihnen seit Jahren am falschen Tag gratuliere?). Mir wäre drum recht, jeder Mensch (ausser ich) hätte einen winzigen Wikipedia Eintrag mit seinem Geburtsdatum.

Das Problem ist drum, dass mir immer so viel pro Person einfiele, was man eigentlich für sie tun könnte. Als stünde auf jeder Stirn, die meine Augen streifen: «Wie könntest du mein Leben besser machen und mir zeigen, dass ich besonders bin?» In mir rattern ungefragt Antwortoptionen vor sich hin, bis ein kleines theoretisches Konzept gedeiht.

Das ist praktisch, aber auch bitz doof. Weil: Wenn ich weiss, was ich alles könnt, wenn ich wirklich und mit vollem Elan würd, scheint mir das, was ich dann tatsächlich tue, im Vergleich fast nur mickrig. Denn zur Umsetzung der im Innern ungefragt aufploppenden Ideen kommt es nur in den seltensten Fällen; ich bin ja nicht berufeshalber oder gar ausgebildete Schenkerin und manchmal muss ich auch noch 10‘000 Schritte laufen, die Wäsche machen, zur Tierärztin, Podcasts schneiden, Formulare ausfüllen, Deadlines einhalten und die 2 Liter Wasser trinken.

Deshalb langts leider oft statt für alles nur für einen Gruss am Telefon oder eine lausig verspätete SMS. Oder — Asche über mein verpeiltes Haupt — oft auch für gar nüt, weil nach zwei Tagen zu spät kann man ja irgendwie auch nicht mehr gratulieren und irgendwie ist bei mir seit zehn Jahren immer irgendwie plötzlich zwei Tage später, ohne dass ich es merke (<− das mag hier nur als kleiner Satz stehen, aber eigentlich gehörte es in Schnörkelschrift auf meine Stirn tätowiert, denn es ist die Quintessenz meines aktuellen Lebensabschnitts).

Wenn ich dann die gemäss meiner gefühlten Ansprüche vernachlässigte Person an oder nach ihrem Geburtstag treffe, muss ich meine untrainierten Schultern so weit nach vorne klappen, dass sie sich unter meinem Kinn schon fast wieder berühren, als könnte ich so verhindern, dass man mir ins reumütige Herz guckt und dort wie in einer Vitrine ausgestellt all die Dinge sieht, die ich eigentlich hätte tun, besorgen oder organisieren können.

Ich weiss nicht, was es damit auf sich hat? Es stimmt mich inzwischen schon fast froh, wenn jemand meinen Geburtstag vergisst, weil es mir das befreiende Gefühl gibt, nächstes Mal auch nicht dringend performen zu müssen. Irgendein Chnorz ist es. Aber ich habe leider grad keine Zeit für eine Therapie zur Entknorzung. Eigentlich habe ich sowieso keine Zeit für gar nichts, irgendwie. Es hat einfach immer wieder jemand Geburtstag.

Gegen die geburtstägliche Versagensangst gibt es nur zwei Dinge, die helfen:

  • einmal der Gedanke, dass zum Glück niemand ausser mir weiss, was für Geschenkkonzepte und Überraschungspartys in mir schlummern (sofern ich meine Schultern weiterhin schön nach vorne geklappt halte)
  • tatsächlich ALLES machen

Ganz selten mache ich es. ALLES. Und ich muss sagen: Es ist mein Heroin.

Mein Mann komponiert für viele Bands Musik, in Mundart. Aber die Musik würde durchaus auch international funktionieren (finde ich, weil ja, ich bin verliebt, aber ich habe auch Ahnung). Dieses Kompliment hätte ich so auf eine Geburtstagskarte schreiben können: «Du bisch super. Au international wärst du super, du Genie.» Aber ich wollte nicht äfach Chugi auf Papier. Ich wollte: BESTMÖGLICH. Also übersetzte ich mit in die Unterlippe gebohrten Zähnen eins seiner Lieder auf Englisch, geltungsbegierig wie die Streberin, die ich früher war, als ich noch Zeit hatte für Ehrgeiz und Perfektion. Und damit es sicher richtig ist, liess ich es auch noch von jemandem lektorieren, dessen Muttersprache Englisch (und nicht einfach MTV und dreimal Fleabag) ist. Wär’ das Leben ein Film, hätte ich das Lied natürli selbst eingesungen und ganz unverhofft hätten wir alle in diesem Moment entdeckt, was für ein Gesangstalent in mir schlummert. Aber das Leben ist kein Film und ich eine Frau, die nur dann laut genug für gut singt, wenn der Aperol getrunken und Sias I AM TAI-TEEE-NIII-ÖÖÖÖM durch den Klub ballert. Und eben, ich wollte ja BESTMÖGLICH und drum in diesem Fall nicht mich. Deshalb fragte ich also eine der drei Sängerinnen der Band JOSEPH aus Portland an, die wir mal live gesehen hatten und sehr liebten. Und sie antwortete! Mit yes! Und sang einfach das von mir übersetzte Lied von meinem Mann in eine Kamera und ein Mikrofon! Meine Güte. DAS war ein gutes Geschenk! Seither schenke ich dem Mann übrigens nur noch sporadisch etwas, weil wir wissen beide: was Besseres fällt mir wohl kaum mehr ein.

Apropos Einfälle: Jetzt bräuchte dieser Text noch ein flippiges, rundes Ende, das ihn vom genre-losen Chrüsimüsitext zur Kolumne machen würde, aber ich habe keins, weil — guess what — mein Kind hatte letzte Woche Geburtstag, und wenn du bis hierhin einigermassen konzentriert mitgelesen hast, ist dir vermutlich klar, dass ich für gute Enden in Texten keine Zeit haben konnte. Warum? Am Geburtstagsmorgen gab es ein kleines Küchlein (nicht vergessen!) mit Kerze (Zundhölzli!) und Gesang zum Aufwachen. Dann ein Frühstück (auftischen!) und einen Gschenklitisch (einpacken! drapieren!). Der eigentliche Geburtstag fiel gemeinerweise auf einen langen Schultag, drum fand ich schön, dass die Grosseltern als Überraschung (einladen!) am Znacht-Tisch (auftischen!) sassen, als das Kind von der Chorprobe (bringen! abholen!) heimkam. Am Mittwoch gingen wir Pizza essen (reservieren!) mit den zwei Freundinnen (einladen!), die am Freitag dann nicht zum Kindergeburi (einladen!) zum Zmittag (kochen! aufitschen! abräumen!) und mit ins Selfie Hotel (buchen!) kommen konnten. Am Donnerstag lösten wir das eigentliche Geburigeschenk ein und gingen als Überraschung (Timing!) ins Hallenstadion (Kopfhörer!) Sabrina Carpenter (Tickets!) schauen. Und am Sonntag abschliessend noch die Cousinen und Freunde aus der Nachbarschaft (einladen!) zu Kaffee (Entkalkungsprogramm!) und Kuchen (backen!) treffen, inklusive Übernachtungsüberraschungsgast (einladen! Zimmer ummöbeln!). Hip, hip, hurrah.

Vielleicht werden diese Kolumne und ich also beide nie ganz fertig. Ausser vielleicht fix und — …

Aber wir lesen uns wieder.
Unfertig und munter,
Oli

PS: Geliebtes Kind, wenn du das jemals liest, wisse immer: die Liebe ist SO gross, ich würd denks au no 12 Mal mehr. :-*