Stärnefoifi – zwanzig Hotels, die man nie wieder verlassen will.
Tages-Anzeiger MAGAZIN 12/2023
Die Redaktion des MAGAZIN stellt ihre Sehnsuchtsorte vor – von Paris bis Nordschweden, von der Fisherman’s Tavern in Dundee zum Hôtel des Mille Collines in Kigali.
Treehotel, Harads
Unter dem zunächst etwas befremdlichen Hashtag #cabinporn findet man im Netz die besten entlegenen Blockhütten, Baumhäuser und einsamen Bungalows. Mit der Darstellung menschlicher Sexualität hat das nichts zu tun: In den Nullerjahren etablierte sich porno als Adjektiv in der Jugendsprache und wurde benutzt, wenn etwas besonders gut war. Unter diesem Aspekt entstand auch der Hashtag, der Zufluchtsorte bündelt, die eine Sehnsucht nach Stille befriedigen.
Wer also lieber Bäume als Menschen mag, ist in der nordschwedischen Provinz Norrbotten gut aufgehoben. Die einzigen sieben Menschen, die einen hier pro Quadratkilometer begegnen, sind im Winter derart vielschichtig in ihre Funktionskleidung eingezwiebelt, dass man von ihnen nur ein kleines Dreieck aus Gesicht sieht.
Von Luleå aus geht die Reise mit dem Zug oder Taxi bis zu einer Siedlung namens Harads, wo sich das viel bebloggte Treehotel befindet. Die Unterkunft besteht aus einem normalen Gästehaus im landestypischen Stil, aber im umliegenden Wald befinden sich einige spektakuläre Zimmer in den Bäumen, daher der Name: Treehotel. Der verspiegelte Kubus, das UFO oder das Bird’s nest — kein Raum berührt den Waldboden und alle Zimmer sind nur über schwebende Brücken und Leitern zu erreichen. Im Innern dann viel Holz, grobe, graue Stoffe, warme Decken und schlichtes skandinavisches Design.
Mein Lieblingszimmer ist The Cabin, designt von den Brüdern Mårten und Gustav Cyrén. Der Quader verschluckt einen, sobald man eintritt und das darin konservierte Lebensgefühl ist einfach nur wie alles, was an Twilight gut war. Das schöne Fenster mit Blick in die Baumwipfel, dieses gefühlt schwebende Bett inmitten der Abgeschiedenheit und dazu ein vakuumartiges Gefühl von Zeitlosigkeit, das durch die Tatsache verstärkt wird, dass man sich hier kurz vor dem Polarkreis befindet. Es ist im Winter also nur etwa drei Stunden hell . Ganz wach wird man nie und wohl deshalb fühlt sich alles noch etwas traumhafter an als es ohnehin schon ist. Man watet in der Stille durch knietiefen Schnee zum Hering-Frühstück (es gibt Alternativen), spaziert durch Birkenwälder und atmet auf dem Weg zur nächsten Tankstelle auf der Suche nach einem erschwinglichen alkoholischen Getränk für Silvester die klirrend kalte Luft ein. Wer möchte, kann nachts mit Schlittenhunden einen Ausflug machen (machte ich) oder tagsüber mit Schneetöffs durch die weisse Landschaft brettern (das nicht). Vielleicht versteckten sich bei meinem Besuch die Nordlichter in der Neujahrsnacht absichtlich so gut, damit ich irgendwann nochmals zurück muss. Aber auch ohne Aurora borealis ist der Aufenthalt in diesem Waldstück ein Erlebnis. Und wenn der Hashtag #cabinporn schon existiert, dann wenigstens aus so gutem Grund wie das Treehotel einer ist.